Sam Francis

Untitled, 1984

106.7 X 73 inch

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Von Selbstporträts zu Selfies: Die Entwicklung der Selbstausdrucks in der Kunst

From Self-Portraits to Selfies: The Evolution of Self-Expression in Art

Von Nana Japaridze

Im Jahr 1660 malte Rembrandt sich selbst mit schonungsloser Ehrlichkeit. In diesem Selbstporträt zeigt er jede Furche, jede Falte seines Alters. Zu diesem Zeitpunkt hatte er Verlust, Trauer und den Bankrott hinter sich; sein müder Blick wirkt fast schmerzhaft introspektiv. Insgesamt schuf Rembrandt über vierzig Selbstporträts – im Grunde führte er ein visuelles Tagebuch auf Leinwand. Jahrhunderte später richtete auch Vincent van Gogh die „Kamera“ auf sich selbst. Sein Selbstporträt mit verbundenem Ohr von 1889 verewigt den Verband und die Pelzmütze nach seinem berühmten Zusammenbruch. Beide Künstler behandelten das Selbstporträt als ernsthafte Kunstform und nicht als flüchtiges Spiel der Eitelkeit.

Auch Frida Kahlo durchzog ihre Selbstporträts im 20. Jahrhundert mit reichem Symbolismus. In einem bekannten Gemälde von 1940 hängt ein Kolibri an ihrer Dornenkette – ein Zeichen für Hoffnung und Wiedergeburt –, während eine schwarze Katze hinter ihr lauert wie ein schelmischer Unglücksbringer. Kahlo sagte einmal: „Ich male Selbstporträts, weil ich so oft allein bin, weil ich die Person bin, die ich am besten kenne.“ Ihre Werke zeigen, dass das Gesicht eines Künstlers lange vor Social Media Geschichten, Symbole und sogar Humor tragen konnte.

Heute jedoch kann jeder sein eigener Fotograf sein. In Rembrandts Zeit konnten nur ausgebildete Maler ein Selbstporträt anfertigen – heute trägt jeder dieses Potenzial in der Hosentasche dank des Smartphones. Schätzungen zufolge machen wir etwa eine Million Selfies pro Tag. Der Drang ist geblieben. Ein Museumsdirektor formulierte es treffend: „Seit fünf Jahrhunderten verspüren Menschen das Bedürfnis, Bilder von sich selbst zu schaffen und zu teilen; nur die Art und Weise hat sich verändert.“ Mit anderen Worten: Die alte Tradition künstlerischer Selbstbetrachtung ist schlicht digital geworden.

Museen und Publikum beteiligen sich begeistert. Instagram-Aktionen wie #MuseumSelfieDay laden Besucher dazu ein, humorvolle Selfies neben berühmten Kunstwerken zu machen. Manche Institutionen organisieren ganze Ausstellungen rund um die Selfie-Kultur. So zeigte London 2017 die Schau From Selfie to Self-Expression, die Selbstporträts von Rembrandt bis Cindy Sherman vereinte. Ein Zentrum in Vermont präsentierte The Art of the Selfie mit Werken von Sherman und Marina Abramović. In solchen Ausstellungen verschwimmt die Grenze zwischen „Hochkultur“ und Instagram-Foto bewusst. (Ironischerweise haben Künstlerinnen wie Abramović auch „No-Selfie“-Shows initiiert – Besucher mussten ihre Handys einschließen, um sich wirklich auf die Kunst einzulassen!)

Heutzutage sind Museen voller Menschen, die Selfies aufnehmen. Ein Kurator bemerkte, dass Selfies „mit Abstand die am schnellsten expandierende Form visueller Kommunikation sind … wir können sie als kulturelle Institution nicht ignorieren.“ In den sozialen Netzwerken machen Besucher begeistert mit (man denke an Barack Obamas berühmtes Gruppen-Selfie, das als so ikonisch galt, dass es selbst in Ausstellungen gezeigt wurde). Viele Museen gestalten inzwischen gezielt selfie-freundliche Bereiche – Spiegel an strategischen Stellen, humorvolle Beschriftungen oder eigens definierte „Selfie Spots“. Ein einziger Hashtag kann Räume mit fröhlichen Selbstporträtmachern füllen – ein Beweis dafür, dass die Tradition des Selbstporträts weit über das Atelier hinauslebt.

 

Zahlreiche renommierte zeitgenössische Künstler haben die Selfie-Ära aufgegriffen oder ironisch hinterfragt. Einige Beispiele:

 

Cindy Sherman – Die Meisterin der Verwandlung überraschte 2017 die Kunstwelt, als sie ihr zuvor privates Instagram-Profil öffentlich machte. Ihr Feed zeigt bizarre, gefilterte Selfies (Krankenhausszenen, Blumenfilter), die einen düsteren Spiegel unserer selbstbezogenen Gegenwart darstellen. Sherman hatte das Prinzip der Selfie-Inszenierung im Grunde schon Jahrzehnte vor Social Media erfunden, und ihre Instagram-Bilder sind voller Humor, Rollenwechsel und performativer Maskerade.

Ai Weiwei – Der Künstler und Aktivist nutzt Selfies und Schnappschüsse als politisches Werkzeug. Er veröffentlicht Alltagsfotos und seit 2015 Hunderte Bilder von Geflüchteten auf der Flucht. 2017 stellte eine Amsterdamer Galerie sogar seinen Instagram-Feed aus: Die Ausstellung #SafePassage kombinierte seine Handyfotos aus Flüchtlingslagern mit Skulpturen und verwandelte Social-Media-Bilder in Installationskunst.

 

Marina Abramović – Die Grande Dame der Performancekunst pflegt ein ambivalentes Verhältnis zu Selfies. Sie erklärte einst: „Instagram ist keine Kunst“, nutzt jedoch inzwischen digitale Technologien bewusst. 2019 veröffentlichte sie The Rising, eine App zum Thema Klimawandel, in der ihr digitaler Avatar in einem schmelzenden Eisbecken gefangen ist. Die Nutzer müssen ökologische Versprechen abgeben (Lichter ausschalten, recyceln), um ihr virtuelles Selbst zu retten. Ein kluger Ansatz: Ihr eigenes Bild wird zum Appell für ökologisches Handeln – eine Verbindung von Performance und Interaktivität.

Chuck Close – Bekannt für seine monumentalen Rasterporträts, trieb Close die Fotografie auf die Spitze. Er fertigte unzählige Polaroids und Fotos an – oft von sich selbst – und malte sie dann Quadrat für Quadrat akribisch ab. Die fertigen Werke wirken wie riesige, verpixelte Selfies: Man erkennt das dargestellte Gesicht (häufig sein eigenes oder das von Freunden) erst aus einigen Metern Abstand. In gewisser Weise schuf Close hochkulturelle Selfies lange bevor das Wort existierte.

All diese Künstler zeigen, dass der Geist der Selfie – das Spiel mit Identität, Medium und Selbstbild – anspruchsvolle Kunst hervorbringen kann. Manche Arbeiten beziehen das Publikum aktiv mit ein, indem sie die Kamera buchstäblich auf die Besuchenden zurückwerfen. Die Smartphone-Kamera ist heute nur ein weiteres Werkzeug, ein moderner Pinsel oder ein Requisit des Bühnenraums.

 

Letztlich ist am Selbstporträt nichts wirklich neu – nur die Werkzeuge haben sich geändert. Von Rembrandts stillen Atelier-Spiegeln bis zu Kahlos symbolischen Tierbegleitern, von Shermans inszenierten Figuren bis zu einem iPhone, das über dem Museumsboden gehalten wird: Menschen sind, auch nach fünf Jahrhunderten, weiterhin fasziniert von ihrem eigenen Bild. Die Kamera hat den Prozess lediglich sofortig und allgegenwärtig gemacht, doch der menschliche Drang, Bilder von uns selbst zu schaffen und zu teilen, bleibt ungebrochen stark.

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