Tracey Emin: Kunst als Bekenntnis
Von Emilia Novak
Kaum eine zeitgenössische Künstlerin hat die Grenze zwischen Privatleben und öffentlicher Ausstellung so mutig überschritten wie Tracey Emin. Ihre Kunst ist nicht nur autobiografisch – sie ist bekenntnishaft, verletzlich und radikal persönlich. Seit über drei Jahrzehnten verwandelt Emin die Rohstoffe ihres eigenen Lebens in einige der meistdiskutierten Kunstwerke Großbritanniens. Dabei ruft sie Bewunderung und Empörung zugleich hervor. Während viele Künstler ihre Geschichten auf Distanz erzählen, öffnet Emin die Tür weit und lädt uns direkt in ihre Welt ein – mit all ihrem Chaos, Schmerz, Begehren und Herzschmerz.
Von Margate ins Rampenlicht der Kunstwelt
Tracey Emin wurde 1963 im englischen Küstenort Margate geboren. Ihre Kindheit verlief turbulent: Ihr Vater besaß ein Hotel, das später in den Ruin geriet, und als Jugendliche erlebte sie eine sexuelle Gewalterfahrung, die ihr Leben tief prägte. Diese Erlebnisse formten ihre Weltsicht und wurden zur Grundlage ihrer kompromisslosen künstlerischen Stimme.
Emin studierte zunächst am Maidstone College of Art, anschließend am Royal College of Art in London, wo sie 1989 ihr Studium der Malerei abschloss. Der Weg ins professionelle Künstlerleben war jedoch alles andere als einfach. In einem Moment der Verzweiflung zerstörte sie nahezu alle ihre frühen Arbeiten und schwor, nie wieder zu malen. Aus dieser Selbstzerstörung entstand jedoch eine neue Künstlerin – entschlossen, ihr Leben frontal zu konfrontieren und jedes Medium zu nutzen, das ihr inneres Erleben am ehrlichsten ausdrücken konnte: Stickereien, Fundobjekte, Neonlichter oder Video-Bekenntnisse.
Anfang der 1990er Jahre schloss sich Emin dem Kreis an, der bald als Young British Artists (YBAs) bekannt wurde – unter ihnen Damien Hirst, Sarah Lucas und Marc Quinn. Unterstützt vom Sammler Charles Saatchi traten die YBAs selbstbewusst und provokativ auf, um das konservative britische Kunstestablishment zu erschüttern. Während andere mit spektakulären Materialien arbeiteten – Hirst mit seinem Haifisch in Formaldehyd, Quinn mit seiner Büste aus eigenem Blut – lag Emins Radikalität woanders: in der radikalen Offenheit.
Sie sagte einmal: „Kunst muss etwas Offenbarendes haben… sie sollte kreativ sein und Türen zu neuen Gedanken und Erfahrungen öffnen.“ Für Emin war diese Offenbarung sie selbst.
Das Zelt: Erinnerung als Denkmal
1995 entstand die Arbeit, die ihre bekenntnishafte Kunstform definieren sollte:
Everyone I Have Ever Slept With 1963–1995
(Alle, mit denen ich je geschlafen habe, 1963–1995).
Die Installation bestand aus einem kleinen, von innen beleuchteten Zelt, dessen Innenwände mit 102 Namen bestickt waren – Liebhaber, Freunde, Familienmitglieder und sogar die ungeborenen Zwillinge, die sie durch eine Fehlgeburt verloren hatte. Der provokante Titel weckte zunächst voyeuristische Erwartungen, doch im Inneren entfaltete sich etwas viel Zarteres. Das Zelt war ein textiles Tagebuch, ein Denkmal der Intimität in all ihren Formen – körperlich, familiär oder emotional.
Auf dem Boden hatte Emin die Worte aufgenäht: „With myself, always myself, never forgetting.“ („Mit mir selbst, immer mit mir selbst, ohne je zu vergessen.“) Eine leise, selbstreflektierende Aussage über Erinnerung und Identität. Damit wurde das Werk zu einem Akt persönlicher Archivierung: Eine junge Künstlerin legte buchstäblich das Gewebe ihres Lebens offen.
Die Reaktionen waren heftig. Kritiker und Publikum waren gespalten – zwischen jenen, die das Werk als schamlosen Exhibitionismus abtaten, und jenen, die seine emotionale Wucht erkannten. Heute gilt das Zelt als Schlüsselwerk der zeitgenössischen Kunst, das die Beichte zur künstlerischen Methode erhob.
Tragischerweise wurde es 2004 bei einem Brand in Saatchis Lagerhaus zerstört – eine bittere Ironie, da das Werk, das einst von der Boulevardpresse verspottet wurde, nun als unersetzliches Kulturgut gilt.
My Bed: Skandal, Verletzlichkeit und Nähe
Wenn das Zelt ihren Durchbruch markierte, machte My Bed (1998) sie zur Ikone. Für die Ausstellung des Turner Prize in der Tate Gallery 1999 präsentierte Emin ihr eigenes, ungemachtes Bett – umgeben von den Überresten einer tiefen Depression: leere Wodkaflaschen, Zigarettenschachteln, Taschentücher, Unterwäsche, benutzte Kondome. Nach Tagen im Bett, ausgelöst durch eine schmerzhafte Trennung, erkannte sie im Chaos selbst ein Bild ihrer Situation – und erklärte es zur Kunst.
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Die britische Presse überschlug sich mit Empörung, Kritiker nannten das Werk narzisstisch und aufdringlich. Einer sprach gar von „endlosem Solipsismus“ und erklärte Emin zur Langweilerin statt zur Visionärin. Doch das Publikum reagierte differenzierter.
Für viele Besucher besaß das Werk eine tiefe emotionale Resonanz. Kuratoren der Tate beschrieben die Szene als „Tatort eines gebrochenen Herzens“, als Einladung, den Schmerz eines Menschen zu untersuchen. Hinter dem vermeintlichen Skandal lag etwas Allgemeingültiges: Liebeskummer, Einsamkeit, Scham, Verletzlichkeit. Emin hatte das, was andere verbergen, in ein Museum getragen – privates Leid in öffentliche Kunst verwandelt.
Die Installation löste auch einen absurden Moment in der britischen Kunstgeschichte aus: Die Performancekünstler Yuan Chai und Jian Jun Xi stürmten halb nackt das Bett und lieferten sich ein Kissengefecht. Die Sicherheitskräfte griffen ein, doch das Ereignis – das Emin später ironisch „The Battle of the Bed“ nannte – machte das Werk nur noch berühmter.
Als My Bed 2014 bei Christie’s London für 2,54 Millionen Pfund versteigert wurde – mehr als doppelt so viel wie erwartet –, war Emins Platz im Kanon der Gegenwartskunst gesichert. Saatchi hatte es 2000 für 150 000 Pfund gekauft; in 14 Jahren hatte sich der Wert versechzehnfacht.
Neonbeichten: Schreiben mit Licht
Mitte der 1990er Jahre begann Emin mit Neoninstallationen zu experimentieren – einem Medium, das bald zu ihrem Markenzeichen wurde. Sie übertrug handschriftliche Notizen, Liebesbotschaften und Gedanken in leuchtende Schriftzüge.
Sätze wie:
- „You Forgot to Kiss My Soul“
- „I Promise to Love You“
- „Meet Me in Heaven I Will Wait for You“
…leuchten in ihrer charakteristischen, unregelmäßigen Handschrift. Indem sie Neon, ein Material aus der Werbewelt und Jahrmarktsästhetik, mit zutiefst persönlichen Aussagen kombinierte, schuf sie einen spannenden Kontrast zwischen greller Oberfläche und innerer Melancholie.
Emin wuchs zwischen den Neonlichtern der Strandpromenade von Margate auf; diese Ästhetik prägte ihr visuelles Vokabular. „Neon ist emotional für jeden… es hat einen Feelgood-Faktor“, erklärte sie einmal. Das warme Licht macht ihre privaten Botschaften erstaunlich universell: Viele Betrachter erkennen in ihnen eigene Gefühle wieder. Kein Wunder also, dass ihre Neonarbeiten heute weltweit begehrt sind.
Malerei, Zeichnung und die Rückkehr zum Körper
Obwohl sie die Malerei einst aufgegeben hatte, kehrte Emin in den 2000er und 2010er Jahren zu ihr zurück. Ihre Gemälde und Zeichnungen erforschen weibliches Begehren, Einsamkeit und Verletzlichkeit in expressiven, freien Pinselstrichen. Der Einfluss von Edvard Munch und Egon Schiele ist unverkennbar: Beide Künstler legten ihr Innenleben schonungslos offen – eine Tradition, die Emin fortsetzt.
Diese Rückkehr markierte eine Reifung, aber keine Milderung. Ihre Leinwände bleiben bekenntnishaft, bevölkert von einsamen weiblichen Figuren und hastig notierten Textfragmenten. Weniger spektakulär als ihre Installationen, sind sie ebenso persönlich – Tagebuchseiten in Farbe.
Emin wandte sich auch der Skulptur zu, insbesondere mit The Mother (2022), einer neun Meter hohen Bronzefigur, die dauerhaft vor dem MUNCH-Museum in Oslo steht. Die nackte, kniende Frauengestalt ist „allen Müttern und Frauen“ gewidmet, ebenso Munchs eigener Mutter. Das Werk zeigt Emins Bewunderung für Munchs emotionale Ehrlichkeit und spiegelt zugleich ihre ambivalenten Gefühle zur Mutterschaft wider, die sie selbst nie erfahren hat.
Mit The Mother wandelte sich die einstige Provokateurin zur Künstlerin monumentaler, aber weiterhin autobiografischer Werke.
Vom Skandal zur kulturellen Ikone
Mit der Zeit veränderte sich Emins Status grundlegend. Aus der Enfant Terrible der 1990er wurde eine respektierte Persönlichkeit des britischen Kunstbetriebs. 2007 wurde sie Mitglied der Royal Academy of Arts, 2013 erhielt sie den Titel CBE (Commander of the Order of the British Empire), und 2024 folgte die Auszeichnung als Dame Commander (DBE) für ihre Verdienste um die Kunst.
Auch persönliche Schicksalsschläge prägten ihr späteres Werk. 2020 erkrankte sie an Krebs und musste sich einer schweren Operation unterziehen. Offen sprach sie über diese Erfahrung und schuf Selbstporträts, die sich mit Sterblichkeit und Überleben auseinandersetzen. Ihre Kunst blieb ebenso intim – der Bekenntnischarakter wurde zum Lebensprinzip.
Warum Sammler sie lieben
Für Sammler nimmt Emin eine besondere Stellung ein. Ihre Arbeiten sind zutiefst persönlich und zugleich allgemein verständlich. In einem Kunstmarkt, der oft auf Konzept und Distanz setzt, verkörpert sie Authentizität.
Wer ein Werk von Tracey Emin besitzt, besitzt ein Stück ihrer Geschichte. Ob ein glühender Neonschriftzug, eine fragile Zeichnung oder eine ikonische Installation – jede Arbeit trägt einen menschlichen Kern in sich. Auch wenn ihre Werke hohe Auktionspreise erzielen, liegt ihr wahrer Wert in der emotionalen Wirkung. Viele Sammler beschreiben das Gefühl, dass ihre Kunst etwas ausspricht, das sie selbst empfinden, aber nie formulieren konnten.
Selbst verlorene Werke wie das verbrannte Zelt sind zu kulturellen Symbolen geworden. Was einst verspottet wurde, wird heute betrauert – ein Zeichen für Emins Einfluss: Sie hat Autobiografie als Kunst neu definiert, nicht als Selbstbespiegelung, sondern als menschliche Verbindung.
Ein bleibendes Vermächtnis
Emin sagte einmal: „Es ist wichtig, dass meine Arbeit von mir und meinen Erfahrungen handelt. Wäre es anders, wäre sie unehrlich.“
Diese kompromisslose Haltung prägt ihr gesamtes Schaffen. Was früher als Selbstenthüllung oder Skandalkunst galt, wird heute für seine Ehrlichkeit, Verletzlichkeit und emotionale Tiefe gefeiert. Wie Frida Kahlo oder Louise Bourgeois hat sie ihr persönliches Leben in universelle Symbole verwandelt.
Für Betrachter ist ihre Kunst ein Spiegel – manchmal unbequem, manchmal tröstlich, aber immer wahrhaftig. Für Sammler ist sie ein Stück Kulturgeschichte: Kunst, die nicht bloß schmückt, sondern anspricht, provoziert und berührt.
Indem Tracey Emin die Tür zu ihrem Leben geöffnet hat, hat sie auch uns eingeladen, uns selbst klarer zu sehen. Ihre Bekenntniskunst fordert nicht nur den Blick, sondern auch das Mitgefühl heraus. Und vielleicht ist das der Grund, warum ihr Vermächtnis – wie das Leuchten ihrer Neonarbeiten – noch lange weiterstrahlen wird.
Von Emilia Novak
Kaum eine zeitgenössische Künstlerin hat die Grenze zwischen Privatleben und öffentlicher Ausstellung so mutig überschritten wie Tracey Emin. Ihre Kunst ist nicht nur autobiografisch – sie ist bekenntnishaft, verletzlich und radikal persönlich. Seit über drei Jahrzehnten verwandelt Emin die Rohstoffe ihres eigenen Lebens in einige der meistdiskutierten Kunstwerke Großbritanniens. Dabei ruft sie Bewunderung und Empörung zugleich hervor. Während viele Künstler ihre Geschichten auf Distanz erzählen, öffnet Emin die Tür weit und lädt uns direkt in ihre Welt ein – mit all ihrem Chaos, Schmerz, Begehren und Herzschmerz.
Von Margate ins Rampenlicht der Kunstwelt
Tracey Emin wurde 1963 im englischen Küstenort Margate geboren. Ihre Kindheit verlief turbulent: Ihr Vater besaß ein Hotel, das später in den Ruin geriet, und als Jugendliche erlebte sie eine sexuelle Gewalterfahrung, die ihr Leben tief prägte. Diese Erlebnisse formten ihre Weltsicht und wurden zur Grundlage ihrer kompromisslosen künstlerischen Stimme.
Emin studierte zunächst am Maidstone College of Art, anschließend am Royal College of Art in London, wo sie 1989 ihr Studium der Malerei abschloss. Der Weg ins professionelle Künstlerleben war jedoch alles andere als einfach. In einem Moment der Verzweiflung zerstörte sie nahezu alle ihre frühen Arbeiten und schwor, nie wieder zu malen. Aus dieser Selbstzerstörung entstand jedoch eine neue Künstlerin – entschlossen, ihr Leben frontal zu konfrontieren und jedes Medium zu nutzen, das ihr inneres Erleben am ehrlichsten ausdrücken konnte: Stickereien, Fundobjekte, Neonlichter oder Video-Bekenntnisse.
Anfang der 1990er Jahre schloss sich Emin dem Kreis an, der bald als Young British Artists (YBAs) bekannt wurde – unter ihnen Damien Hirst, Sarah Lucas und Marc Quinn. Unterstützt vom Sammler Charles Saatchi traten die YBAs selbstbewusst und provokativ auf, um das konservative britische Kunstestablishment zu erschüttern. Während andere mit spektakulären Materialien arbeiteten – Hirst mit seinem Haifisch in Formaldehyd, Quinn mit seiner Büste aus eigenem Blut – lag Emins Radikalität woanders: in der radikalen Offenheit.
Sie sagte einmal: „Kunst muss etwas Offenbarendes haben… sie sollte kreativ sein und Türen zu neuen Gedanken und Erfahrungen öffnen.“ Für Emin war diese Offenbarung sie selbst.
Das Zelt: Erinnerung als Denkmal
1995 entstand die Arbeit, die ihre bekenntnishafte Kunstform definieren sollte:
Everyone I Have Ever Slept With 1963–1995
(Alle, mit denen ich je geschlafen habe, 1963–1995).
Die Installation bestand aus einem kleinen, von innen beleuchteten Zelt, dessen Innenwände mit 102 Namen bestickt waren – Liebhaber, Freunde, Familienmitglieder und sogar die ungeborenen Zwillinge, die sie durch eine Fehlgeburt verloren hatte. Der provokante Titel weckte zunächst voyeuristische Erwartungen, doch im Inneren entfaltete sich etwas viel Zarteres. Das Zelt war ein textiles Tagebuch, ein Denkmal der Intimität in all ihren Formen – körperlich, familiär oder emotional.
Auf dem Boden hatte Emin die Worte aufgenäht: „With myself, always myself, never forgetting.“ („Mit mir selbst, immer mit mir selbst, ohne je zu vergessen.“) Eine leise, selbstreflektierende Aussage über Erinnerung und Identität. Damit wurde das Werk zu einem Akt persönlicher Archivierung: Eine junge Künstlerin legte buchstäblich das Gewebe ihres Lebens offen.
Die Reaktionen waren heftig. Kritiker und Publikum waren gespalten – zwischen jenen, die das Werk als schamlosen Exhibitionismus abtaten, und jenen, die seine emotionale Wucht erkannten. Heute gilt das Zelt als Schlüsselwerk der zeitgenössischen Kunst, das die Beichte zur künstlerischen Methode erhob.
Tragischerweise wurde es 2004 bei einem Brand in Saatchis Lagerhaus zerstört – eine bittere Ironie, da das Werk, das einst von der Boulevardpresse verspottet wurde, nun als unersetzliches Kulturgut gilt.
My Bed: Skandal, Verletzlichkeit und Nähe
Wenn das Zelt ihren Durchbruch markierte, machte My Bed (1998) sie zur Ikone. Für die Ausstellung des Turner Prize in der Tate Gallery 1999 präsentierte Emin ihr eigenes, ungemachtes Bett – umgeben von den Überresten einer tiefen Depression: leere Wodkaflaschen, Zigarettenschachteln, Taschentücher, Unterwäsche, benutzte Kondome. Nach Tagen im Bett, ausgelöst durch eine schmerzhafte Trennung, erkannte sie im Chaos selbst ein Bild ihrer Situation – und erklärte es zur Kunst.
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Die britische Presse überschlug sich mit Empörung, Kritiker nannten das Werk narzisstisch und aufdringlich. Einer sprach gar von „endlosem Solipsismus“ und erklärte Emin zur Langweilerin statt zur Visionärin. Doch das Publikum reagierte differenzierter.
Für viele Besucher besaß das Werk eine tiefe emotionale Resonanz. Kuratoren der Tate beschrieben die Szene als „Tatort eines gebrochenen Herzens“, als Einladung, den Schmerz eines Menschen zu untersuchen. Hinter dem vermeintlichen Skandal lag etwas Allgemeingültiges: Liebeskummer, Einsamkeit, Scham, Verletzlichkeit. Emin hatte das, was andere verbergen, in ein Museum getragen – privates Leid in öffentliche Kunst verwandelt.
Die Installation löste auch einen absurden Moment in der britischen Kunstgeschichte aus: Die Performancekünstler Yuan Chai und Jian Jun Xi stürmten halb nackt das Bett und lieferten sich ein Kissengefecht. Die Sicherheitskräfte griffen ein, doch das Ereignis – das Emin später ironisch „The Battle of the Bed“ nannte – machte das Werk nur noch berühmter.
Als My Bed 2014 bei Christie’s London für 2,54 Millionen Pfund versteigert wurde – mehr als doppelt so viel wie erwartet –, war Emins Platz im Kanon der Gegenwartskunst gesichert. Saatchi hatte es 2000 für 150 000 Pfund gekauft; in 14 Jahren hatte sich der Wert versechzehnfacht.
Neonbeichten: Schreiben mit Licht
Mitte der 1990er Jahre begann Emin mit Neoninstallationen zu experimentieren – einem Medium, das bald zu ihrem Markenzeichen wurde. Sie übertrug handschriftliche Notizen, Liebesbotschaften und Gedanken in leuchtende Schriftzüge.
Sätze wie:
- „You Forgot to Kiss My Soul“
- „I Promise to Love You“
- „Meet Me in Heaven I Will Wait for You“
…leuchten in ihrer charakteristischen, unregelmäßigen Handschrift. Indem sie Neon, ein Material aus der Werbewelt und Jahrmarktsästhetik, mit zutiefst persönlichen Aussagen kombinierte, schuf sie einen spannenden Kontrast zwischen greller Oberfläche und innerer Melancholie.
Emin wuchs zwischen den Neonlichtern der Strandpromenade von Margate auf; diese Ästhetik prägte ihr visuelles Vokabular. „Neon ist emotional für jeden… es hat einen Feelgood-Faktor“, erklärte sie einmal. Das warme Licht macht ihre privaten Botschaften erstaunlich universell: Viele Betrachter erkennen in ihnen eigene Gefühle wieder. Kein Wunder also, dass ihre Neonarbeiten heute weltweit begehrt sind.
Malerei, Zeichnung und die Rückkehr zum Körper
Obwohl sie die Malerei einst aufgegeben hatte, kehrte Emin in den 2000er und 2010er Jahren zu ihr zurück. Ihre Gemälde und Zeichnungen erforschen weibliches Begehren, Einsamkeit und Verletzlichkeit in expressiven, freien Pinselstrichen. Der Einfluss von Edvard Munch und Egon Schiele ist unverkennbar: Beide Künstler legten ihr Innenleben schonungslos offen – eine Tradition, die Emin fortsetzt.
Diese Rückkehr markierte eine Reifung, aber keine Milderung. Ihre Leinwände bleiben bekenntnishaft, bevölkert von einsamen weiblichen Figuren und hastig notierten Textfragmenten. Weniger spektakulär als ihre Installationen, sind sie ebenso persönlich – Tagebuchseiten in Farbe.
Emin wandte sich auch der Skulptur zu, insbesondere mit The Mother (2022), einer neun Meter hohen Bronzefigur, die dauerhaft vor dem MUNCH-Museum in Oslo steht. Die nackte, kniende Frauengestalt ist „allen Müttern und Frauen“ gewidmet, ebenso Munchs eigener Mutter. Das Werk zeigt Emins Bewunderung für Munchs emotionale Ehrlichkeit und spiegelt zugleich ihre ambivalenten Gefühle zur Mutterschaft wider, die sie selbst nie erfahren hat.
Mit The Mother wandelte sich die einstige Provokateurin zur Künstlerin monumentaler, aber weiterhin autobiografischer Werke.
Vom Skandal zur kulturellen Ikone
Mit der Zeit veränderte sich Emins Status grundlegend. Aus der Enfant Terrible der 1990er wurde eine respektierte Persönlichkeit des britischen Kunstbetriebs. 2007 wurde sie Mitglied der Royal Academy of Arts, 2013 erhielt sie den Titel CBE (Commander of the Order of the British Empire), und 2024 folgte die Auszeichnung als Dame Commander (DBE) für ihre Verdienste um die Kunst.
Auch persönliche Schicksalsschläge prägten ihr späteres Werk. 2020 erkrankte sie an Krebs und musste sich einer schweren Operation unterziehen. Offen sprach sie über diese Erfahrung und schuf Selbstporträts, die sich mit Sterblichkeit und Überleben auseinandersetzen. Ihre Kunst blieb ebenso intim – der Bekenntnischarakter wurde zum Lebensprinzip.
Warum Sammler sie lieben
Für Sammler nimmt Emin eine besondere Stellung ein. Ihre Arbeiten sind zutiefst persönlich und zugleich allgemein verständlich. In einem Kunstmarkt, der oft auf Konzept und Distanz setzt, verkörpert sie Authentizität.
Wer ein Werk von Tracey Emin besitzt, besitzt ein Stück ihrer Geschichte. Ob ein glühender Neonschriftzug, eine fragile Zeichnung oder eine ikonische Installation – jede Arbeit trägt einen menschlichen Kern in sich. Auch wenn ihre Werke hohe Auktionspreise erzielen, liegt ihr wahrer Wert in der emotionalen Wirkung. Viele Sammler beschreiben das Gefühl, dass ihre Kunst etwas ausspricht, das sie selbst empfinden, aber nie formulieren konnten.
Selbst verlorene Werke wie das verbrannte Zelt sind zu kulturellen Symbolen geworden. Was einst verspottet wurde, wird heute betrauert – ein Zeichen für Emins Einfluss: Sie hat Autobiografie als Kunst neu definiert, nicht als Selbstbespiegelung, sondern als menschliche Verbindung.
Ein bleibendes Vermächtnis
Emin sagte einmal: „Es ist wichtig, dass meine Arbeit von mir und meinen Erfahrungen handelt. Wäre es anders, wäre sie unehrlich.“
Diese kompromisslose Haltung prägt ihr gesamtes Schaffen. Was früher als Selbstenthüllung oder Skandalkunst galt, wird heute für seine Ehrlichkeit, Verletzlichkeit und emotionale Tiefe gefeiert. Wie Frida Kahlo oder Louise Bourgeois hat sie ihr persönliches Leben in universelle Symbole verwandelt.
Für Betrachter ist ihre Kunst ein Spiegel – manchmal unbequem, manchmal tröstlich, aber immer wahrhaftig. Für Sammler ist sie ein Stück Kulturgeschichte: Kunst, die nicht bloß schmückt, sondern anspricht, provoziert und berührt.
Indem Tracey Emin die Tür zu ihrem Leben geöffnet hat, hat sie auch uns eingeladen, uns selbst klarer zu sehen. Ihre Bekenntniskunst fordert nicht nur den Blick, sondern auch das Mitgefühl heraus. Und vielleicht ist das der Grund, warum ihr Vermächtnis – wie das Leuchten ihrer Neonarbeiten – noch lange weiterstrahlen wird.
